Atypische Netznutzung in der Praxis: So senken C&I-Standorte Netzentgelte sauber und belastbar

Viele Betriebe glätten heute schon Lastspitzen. Entscheidend ist aber, ob und wie sich das in reduzierte Netzentgelte übersetzen lässt. Dieser Artikel führt Schritt für Schritt durch Begriffe, Regeln und Daten – so, dass auch Nicht-Profis gut mitkommen.

Atypische Netznutzung in 5 Schritten verstehen

Die folgenden 5 Schritte bilden das Fundament, um Atypische Netznutzung zu verstehen und umzusetzen: Begriffe klären, Rechtsrahmen verstehen, Standortvoraussetzungen prüfen, Datenbasis sichern – und erst dann Szenarien rechnen.

Definition & Zielsetzung (Atypische Netznutzung vs. „normales“ Peak-Shaving)

Atypische Netznutzung bedeutet: Ein Standort verschiebt seine höchsten Lasten gezielt aus den Hochlastzeitfenstern (HLZF) des Netzbetreibers heraus und weist das nach. Dafür kann es reduzierte Netzentgelte geben. Peak-Shaving glättet nur technisch die maximale Leistung – ohne Bezug zu HLZF und ohne formales Verfahren.

Kurz gesagt: Peak-Shaving spart ggf. Leistungskosten; Atypische Netznutzung kann zusätzlich Netzentgelte senken, wenn die Voraussetzungen erfüllt und genehmigt sind.

Leicht zu merken:

  • Atypische Netznutzung = gezielte Verschiebung relativ zum HLZF + Antrag + Monitoring

  • Peak-Shaving = technische Glättung ohne einen Regelbezug

  • Beides lässt sich kombinieren, wobei die HLZF-Logik Vorrang hat

Regulatorischer Rahmen (StromNEV §19, Rollen von BNetzA/VNB)

Die Regeln stehen in der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV), §19. Sie regelt, unter welchen Bedingungen und in welchem Verfahren Netzentgelte bei Atypischer Netznutzung reduziert werden können. Zudem werden Fristen, Datenformate und Nachweise geregelt.

Die Bundesnetzagentur gibt damit die Leitplanken vor, der Verteilnetzbetreiber legt das HLZF fest, prüft Anträge und setzt reduzierte Entgelte um. Das HLZF kann je Netzgebiet unterschiedlich sein und jährlich angepasst werden.

Voraussetzungen auf Standort- und Projektseite

Nicht jeder Betrieb startet bei Null. Wichtig ist ein ehrlicher Blick: Wo entstehen Spitzen, was lässt sich steuern, und wer entscheidet darüber?

1. Laststruktur & „Trefferbild“ (für Endkunden und EPC)

Schaue auf die 15-Minuten-Werte der letzten 12–24 Monate:

  • Wie oft liegen die höchsten Peaks im HLZF?

  • Gibt es wiederkehrende Muster (z. B. werktags 17 bis 20 Uhr, Montagsanlauf, gleichzeitiges Laden)?

  • Lassen sich konkrete Treiber benennen (Ladepark, Wärme-Booster, Pumpenstart)?

Klare, wiederkehrende HLZF-Peaks mit erkennbarer Ursache sind ein starkes Signal, denn eine Atypische Netznutzung ist dann grundsätzlich realistisch, wenn sich diese Ursache steuern oder verschieben lässt.

Hinweis für das Zusammenspiel:

  • Endkunde: Kennt die eigenen Abläufe am besten – von Schichtplänen über Start- und Anfahrzeiten bis zu Qualitäts- und Sicherheitsgrenzen – und kann sagen, was sich realistisch verschieben oder puffern lässt.

  • EPC/Integrator: Nimmt die Messdaten unter die Lupe, erkennt wiederkehrende Muster und übersetzt diese in umsetzbare Regeln und Technik (z. B. Speicher-, Lade- oder Prozesssteuerung), damit Atypische Netznutzung im Alltag zuverlässig funktioniert.

2. Technische Spielräume und Grenzen kennen

Man spricht in dem Zusammenhang oft von technischer Flexibilität – also alle praktischen Stellhebel, mit denen Lastspitzen zeitlich verschoben oder gepuffert werden können, ohne Qualität/Sicherheit zu gefährden. Konkret kann das folgendes sein:

  • Prozess verschieben: Startzeiten anpassen, Anfahrkurven strecken, Reihenfolgen ändern (z. B. nicht alles gleichzeitig hochfahren).

  • Energie puffern: Batteriespeicher nutzt Strom aus ruhigen Zeiten und gibt ihn im Hochlastzeitfenster ab.

  • Laden steuern: Ladeleistung begrenzen, Prioritäten setzen, Ladevorgänge staffeln (AC/DC-Settings, Queueing).

  • Wärme/Kälte vorziehen: Kälte- oder Wärmespeicher (Thermopuffer) etwas früher laden, damit im Hochlastzeitfenster weniger Leistung nötig ist.

  • Automatisierte Regeln (EMS): “Wenn HLZF, dann …” – z. B. Speicher entladen, Lader drosseln, Prozesse verzögern.

Faustregel: Technische Flexibilität = Was können wir verschieben oder zwischenspeichern?

Der Endkunde liefert die Freigaben und Grenzen (Qualität, Schicht, Sicherheit). Der EPC/Integrator setzt es in Mess-, Regel- und Speichertechnik um.

3. Organisatorische Bereitschaft

Atypische Netznutzung ist Teamarbeit. Gute Erfahrungen machen Standorte, die:

  • ihre EMS-Regeln klar auf HLZF priorisieren,

  • Produktion, Facility und Energie früh zusammenbringen (Betriebsfenster, Freigaben, Eskalationswege),

  • Verantwortlichkeiten benennen (Energie, Instandhaltung, IT/OT) und Monitoring zur Routine machen.
    Das schafft Vertrauen – intern und beim Netzbetreiber.

4. Beispiele für Stop-Signale oder No-Go-Muster erkennen

Das können z.B. sein:

  • Die höchsten Peaks liegen meist außerhalb des HLZF oder sind zufällig ohne Muster.

  • Einzelereignisse (Störung, Test) treiben die Jahresmaxima – das ist nicht reproduzierbar.

  • Flexibilität ist theoretisch, aber operativ nicht freigegeben (keine Freigaben, kein Prozess).

Datenbasis: Was wirklich gebraucht wird

Gute Entscheidungen sind datengetrieben – und bei Atypischer Netznutzung gilt das doppelt. Die Daten müssen vollständig, plausibel und nachvollziehbar sein. So sieht eine praxistaugliche Basis aus:

1. Fünf-Minuten-Lastgänge (12–24 Monate)

  • Originalquellen vom Mess-/Netzbetreiber (CSV/EDIFACT), ohne Lücken, richtige Zeitzonen/Sommerzeit.

  • Plausibilisierung: Sind Feiertage erkennbar? Gibt es Ausreißer/Messfehler?

  • Der EPC analysiert Leistungsspitzen, Tages-/Wochensaisonalität und HLZF-Treffer.

  • Ergänzend helfen Temperatur und Feiertage, um Ursachen zu unterscheiden (z. B. Hitze-Spitzen in der Kälte).

2. Tarifbausteine

Der EPC zerlegt die Kostenstrukturen, damit Effekte sichtbar werden:

  • Leistungspreise, Arbeitspreise, Mess-/Grundpreise, Netzentgelte, Steuern/Umlagen.

  • Wichtig für die Modellierung: Bewertungsperiode der Leistung (monatlich/vierteljährlich/jährlich), vertragliche Leistung und Sanktionen bei Überzug.
    So erkennt man, wo Atypische Netznutzung wirklich wirkt – und wo nicht.

3. Produktions-/Betriebskalender

  • Schichtpläne, Wartungen, Saisonspitzen, Ladepark-Profile, OT-Ereignisse* (z. B. Anfahrkurven).

  • Ziel: strukturelle von zufälligen Peaks trennen und verschiebbare Blöcke identifizieren.
    Das erleichtert spätere Freigaben – und macht den Plan realistisch.

*Mit OT-Ereignissen sind Vorgänge in der Betriebs-/Automatisierungstechnik (Operational Technology) gemeint – also alles, was Maschinen, Anlagen und Gebäudeautomation direkt steuert (im Unterschied zu IT/Office-Systemen).

Output dieser Stufe (klar, greifbar, entscheidungsreif)

Auf dieser Basis wird aus Bauchgefühl ein belastbarer Plan – die folgenden drei Punkte sollten jetzt vorliegen:

  • Eignungs-Score: z. B. HLZF-Trefferquote, verschiebbare kW-Menge, Stabilität der Muster

  • Baseline-KPIs: P95/P99-Leistung in/außer HLZF, Jahresarbeit, Anteil verschiebbarer Last

  • Daten-Checkliste (vollständig/valide) und später als Antrags-Beilage nutzbar

Mit einer ehrlichen Standortprüfung und einer sauberen Datenbasis wird Atypische Netznutzung vom Buzzword zum belastbaren Projekt – für Dich, dein Team und den Netzbetreiber.

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Tipp:

minimum.energy nimmt dir die Fleißarbeit ab: Lastgänge importieren, automatisch plausibilisieren und direkt dem HLZF zuordnen. Danach bekommst du einen Eignungs-Score samt Baseline-KPIs und können Szenarien für Atypische Netznutzung, Eigenverbrauch und Arbitrage nebeneinander rechnen – inkl. optimierter Speichergröße und EMS-Regeln. Zum Schluss erzeugt die Plattform die nötigen Charts/Tabellen für den Antrag und überwacht im Betrieb die HLZF-Einhaltung mit Alerts.

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minimum.energy
November 8, 2025